Wednesday, May 29, 2013

Download PDF Alle, außer mir (Quartbuch), by Francesca Melandri

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Alle, außer mir (Quartbuch), by Francesca Melandri

Über den Autor und weitere Mitwirkende

Francesca Melandri, geboren in Rom, hat sich in Italien zunächst als Autorin von Drehbüchern wichtiger Kino- und Fernsehfilme einen Namen gemacht (u. a. »Prinzessin Fantaghirò«). Mit ihrem ersten Roman »Eva schläft« wurde sie auch einem breiten deutschsprachigen Lesepublikum bekannt. Ihr zweiter Roman »Über Meereshöhe« wurde von der italienischen Kritik als Meisterwerk gefeiert. Ihr drittes Buch »Alle, außer mir« wurde für den Premio Strega nominiert.

Produktinformation

Gebundene Ausgabe: 608 Seiten

Verlag: Wagenbach; Auflage: 1. (21. Juni 2018)

Sprache: Deutsch, Italienisch

ISBN-10: 9783803132963

ISBN-13: 978-3803132963

ASIN: 3803132967

Originaltitel: Sangue giusto

Größe und/oder Gewicht:

14,7 x 4,1 x 22,1 cm

Durchschnittliche Kundenbewertung:

4.1 von 5 Sternen

37 Kundenrezensionen

Amazon Bestseller-Rang:

Nr. 8.423 in Bücher (Siehe Top 100 in Bücher)

Jeder, der Italien liebt, sollte dieses Buch lesen, um das Land besser zu verstehen. Denn der Roman "Alle, außer mir" von Francesca Melandri ist ein Hammer, politisch brisant, bezogen auf die aktuelle Lage mit der europäischen Flüchtlingspolitik, gleichzeitig spannend geschriebener Geschichtsunterricht. Die Story beginnt damit, dass die linke Moralistin Ilaria Profeti nach Hause fahren will und feststellt, dass ihr Panda abgeschleppt wurde, den sie an der Uferstraße des Tibers geparkt hatte. Da dort morgen der Autokorso von Oberst Muammar-al-Gaddafi auf Staatsbesuch entlang fahren soll, hat der Bürgermeister von Rom alle Autos abschleppen lassen, denn: "...jedes Kind weiß, dass Diktatorenlimousinen nicht an den geparkten Wagen von Normalsterblichen vorbeifahren dürfen..." Die Beziehung zwischen Berlusconi und Gaddafi, bei der es vor allem um Gaslieferungen für Italien ging, kommt immer mal wieder zur Sprache.In ihrem Viertel angekommen, steigt Ilaria die Treppe hoch in den sechsten Stock eines Hauses, in dem Bangladescher im ersten Stock ihren Schlafsaal haben, im zweiten ein illegaler Bed & Breakfast ist, im dritten das rot-goldene Glückwunschband einer chinesischen Familie. Da ruft ihr aus einem Türspalt im vierten ihre alte Nachbarin zu, dass ein Afrikaner auf sie warte. Und tatsächlich steht vor ihrer Wohnungstür ein junger Mann mit tiefschwarzer Haut, der behauptet, er sei ihr Neffe, der Sohn eines Bruders, von dem Ilaria nichts wusste. In seinem Ausweis steht der Name Shimeta Ietmgeta Attilaprofeti. Er spricht nahezu perfekt Italienisch und sagt: "Attilio Profeti weiß, wer ich bin. Frag ihn. Er ist mein Großvater."Nur: Attilio Profeti, genannt Attila, Ilarias Vater, ist 95 Jahre alt und dement. Das ist die Ausgangslage für eine Recherche, die Ilarias Gewissheiten über ihren Vater und damit auch über sich selbst erschüttern wird und gleichzeitig, die faschistische und die Kolonialgeschichte Italiens aufrollt.Nach und nach lernen wir Leser die gesamte Familie Profeti kennen, zunächst ihre älteren Brüder Federico und Emilio, ihren 30-jährigen Halbbruder Attilio und die Generationen davor. Wir erfahren anhand von Ilarias Recherchen vom Bigamisten-Leben ihres Vaters, der drei Familien hatte, eine in Afrika, zwei in Italien. In meinen Augen ist er die Hauptfigur des Romans. Er wurde 1915 geboren, als zweiter Sohn von Viola und ihrem Mann Ernani Profeti, Bahnhofsvorsteher in Lugo. Aufgrund der Recherchen seiner Tochter stellt man sich auch als Leser irgendwann die Frage: Was weiß ich eigentlich über meinen Vater? Ilaria dachte: Er war Partisan. Das stimmte aber nicht: Er war ein Schwarzhemd, also Faschist.Eine für mich wichtige Szene (S.112-114): Seit knapp zwei Jahren hatten alle einmal vor Gericht gestanden. Also alle, die etwas zählten. Unternehmer, hochrangige Politiker, Parteifunktionäre, halbstaatliche Führungskräfte: ein juristisches Erdbeben, das seit seinem Ausbruch im Februar '92 zu einer Flut von Verhaftungen, Selbstmorden und Enthüllungen geführt und die gesamte Führungsschicht des Landes mitgerissen hatte. Die Chefetagen der ehrwürdigsten italienischen Unternehmen - Fiat, Olivetti, Ansaldo - und seit einigen Monaten auch Silvio Berlusconi selbst. Auch gegen Casati wurde ermittelt. Er war vom Amtsgericht vernommen worden und nun gab es über ihn eine dicke Akte. Über Attilio Profeti hingegen nicht. Gewiss, er war erleichtert darüber. Doch gleichzeitig wuchs in ihm Tag für Tag die Enttäuschung. Die Unruhe. Und er begann, sich selbst zu befragen. ... Ein Geschäftsführer eines Betriebs mit Beteiligung der öffentlichen Hand, hatte erzählt, dass er persönlich einen Schmiergeldkoffer mit einer Milliarde Lire in bar überreicht hatte. Auf die Frage des Journalisten: "Wie viel wiegt denn eine Milliarde Lire?", hatte er geantwortet: "Etwa zehn Kilo." Attilio hatte an die vielen Köfferchen denken müssen, besser gesagt Umschläge, die er angenommen oder überreicht hatte. Keiner davon hatte auch nur annähernd zehn Kilo gewogen. Höchstens zwei-, dreihundert Gramm. - Er war nicht wichtig genug. Er war nur ein Mittelklassespieler, der nicht einmal einer Strafe wert war. ... Die echten Geschäfte, die echte Kohle, die vielen ach so echten Kilos in bar, die Konten in der Schweiz: All das hatte Edoardo Casati niemals mit ihm geteilt. Vor fast vierzig Jahren hatte er ihn gewarnt, indem er sagte: "Vertrauen gibt es nur zwischen Gleichrangigen, und das sind wir beide nicht." Nun erst verstand er: Für Menschen wie Casati, durch dessen Adern päpstliches Blut floss, würde er für immer der Sohn eines Eisenbahners bleiben.Seine Tochter IIaria, die die Geschichte ihres Vaters recherchiert, arbeitet als Lehrerin, und widersteht immer wieder Angeboten, die auch nur entfernt nach Korruption riechen: Wenn sie ihren Halbbruder Attilio besucht, nimmt sie nie den Flug von jenem Flughafen, der die Kleinstadt mit Rom verbindet. Denn dieser Flugplatz wurde nur für die Bequemlichkeit eines Senators gebaut, obwohl die Flughäfen Genua und Nizza nah sind. Sie weigert sich, diesem privaten Flughafen ihre Legitimation als Fluggast zu geben (S.28). Aber es gibt einen schwachen Punkt in ihren Leben: Seit ihrer Kindheit ist sie mit Piero Casati befreundet, der später ihr Geliebter wurde. Sie kann es nicht fassen, dass er in die Politik geht und in der Berlusconi-Regierung mitarbeitet. Weil sie ihn liebt, bleibt sie in Verbindung mit ihm, zeigt sich aber nie mit ihm in der Öffentlichkeit. Als ihr Bruder Emilio sie bittet, Piero anzusprechen, um seiner Karriere als Schauspieler einen neuen Impuls zu geben, weigert sie sich. Aber es wird der Moment kommen, an dem sie Piero Casati doch um Hilfe bittet, nämlich als es um Leben oder Tod "des Jungen" geht, der abgeschoben werden soll, der in Äthiopien ins Gefängnis käme, wo er gefoltert und ermordet werden würde.Die Autorin hat zehn Jahre an diesem Roman gearbeitet, in Archiven recherchiert, ist nach Äthiopien gefahren, um nach Zeitzeugen zu suchen - und das merkt man. Mich beeindrucken vor allem jene Textteile, die die umfassende Recherche der Autorin zeigen - und davon gibt es viele wie das Zitat des 1996 erstellten Berichts der Untersuchungskommission, in dem die Auswirkungen von Bettino Craxis 1985 erlassenen Gesetzes über die internationale Zusammenarbeit dargestellt wird (S.223-224):"Die italienische Entwicklungszusammenarbeit erwies sich für die Länder der Dritten Welt nicht als Instrument langfristiger Hilfe, sondern bot lediglich den italienischen Unternehmen die Gelegenheit für Plünderung, Bereicherung und Verschwendung, alles unter dem Schutz des für sie garantierenden Staates und auf Kosten des Steuerzahlers. Der Hilfseffekt für die Dritte-Welt-Länder war, wenn überhaupt, nur marginal. Den Sektor der großen Bauprojekte kann man daher als einen Sektor des Raubs und der Bereicherung bezeichnen." Ilaria liest dann weiter, wie ein Senator die von Mengistu geforderten Siedlungen beschrieb: "Ein riesiges Projekt, gewünscht von einem Diktator und von uns umgesetzt, ungeachtet des Genozids, den das Projekt mit sich brachte. Ein Diktator, der sich auch auf internationaler Ebene nicht um die Folgen kümmerte, weil sich zu jener Zeit niemand im Westen mit so unbekannten und fernen Kriegen wie dem zwischen Äthiopien und Eritrea beschäftigte, trotz der Millionen Toten." Ilaria fragt sich jetzt, wie alt sie damals war - zwanzig!Ein anderes Beispiel ist der detaillierte Bericht "des Jungen" über seinen Weg durch die italienische Bürokratie mit Zeitangaben, der sich über volle vier Seiten erstreckt (S.91-94). Er beginnt: Aufenthalt in der Erstaufnahmeeinrichtung der Insel in Tagen: zwei. Identifizierung der Angelandeten durch Polizeibeamte in Minuten: zwei. ... und endet mit: Inkrafttreten des Abschiebebescheids: unverzüglich.Die Autorin bietet uns Lesern mit wechselnden Perspektiven, verschiedenen Erzählsträngen und Zeitebenen ein hochinteressantes Mosaik an, das nach und nach die Lebenslügen des Attilio Profeti offenbart, die zugleich die Lügen einer Gesellschaft zeigen, die den Faschismus und den Kolonialismus verdrängt hat. Wir erleben Attilio als jungen Mann, der aufgrund seiner Schönheit - groß, blond, blauäugig - für den Anthropologen Lidio Cipriani die Inkarnation des wissenschaftlichen Rassismus darstellt, dessen faschistische Mutter Viola ihm eine Stelle verschafft, indem sie Ciprianis Assistenten als Halbjuden denunziert. Attilio hat das "richtige Blut" und gehört zu den Männern, die 1935 in Ostafrika einen grausamen Krieg führen, in dem sie auch Senfgas einsetzen. In Abessinien, heute Äthiopien, tritt Attilio als Faschist und Rassist auf. Gleichzeitig flüchtet sich jeden Abend in die Arme der schönen Abeba Ezezew, die er in ihrem Dorf nach dem "damoz"-Ritus ehelicht, aber später verleugnet (S.504). Doch aus dieser Verbindung stammt der Sohn Ietmgeta Attilaprofeti, Vater von Shimeta. Während ihrer Recherche bricht der Tochter Ilaria sozusagen ihr Vater weg, den sie sehr liebt. Und ihr Selbstbild steht auch zur Disposition, unter anderem deswegen, weil sie feststellen muss, dass die Wohnung, in der sie lebt und die ihr Vater ihr geschenkt hatte (Attilio hat jedem seiner vier italienischen Kinder eine Wohnung gekauft) durch Korruption erworben wurde.Es ist Francesca Melandri gelungen, die Komplexität einer Familie sowie die Komplexität der italienischen Geschichte und Politik darzustellen, einschließlich der Dämonen, die darin bis zum heutigen Tag wirken. Und am Schluss des Romans wartet die Autorin noch einmal mit einer Überraschung auf.

Wer einfach nur einen spannenden Roman erwartet, ist bei "Alle, ausser mir" an der falschen Adresse. Genau genommen arbeitet Melandri in diesem Buch die faschistische koloniale Vergangenheit Italiens in Äthiopien, auf. Gleichzeitig ist die Geschichte weit über Italien hinaus gerade heute für uns alle wichtig: Sie zeigt, wie sich in der Vergangenheit liegende Handlungen heute auswirken. Melandri verwendet dafür einen Kniff: Sie lässt die Folgen des Kolonialismus und Rassismus sozusagen in Person vor der Haustür der vermeintlich moralisch sattelfesten Italienerin Illaria stranden. Dort sitzt eines Tages ein äthiopische Flüchtling, dem das Asyl verwegiert wird, und sagt: "Ich bin dein Neffe - mein Vater war dein Halbbruder". Die an diese Behauptung anschliessenden Recherchen Ilarias zur Vergangenheit ihres (inzwischen dementen) Vaters führen weit über das Persönliche hinaus: Italien im Faschismus, noch heute gerne verklärt, und sein Vernichtungskrieg gegen die Äthiopier, aber auch das Denunziantentum, die Rassengesetzgebung und die Verfolgung sowie die Verdrängung all dessen in Italien nach Kriegsende und die allgegenwärtige Korruption werden thematisiert. Illarias opportunistischer und grenzenlos narzisstischer Vater bildet dabei den Kern der Geschichte (Wahlspruch: "alle, ausser mir"). Aber auch Illaria kommt nicht ungeschoren davon: Sie, die glaubte, genau zu wissen, was richtig und was falsch ist, lernt, dass auch sie nicht immun ist, wenn sich Grenzen verwischen.

Selma Lagerlöf hat das Buch über die Reise des Zwergs Nils Holgersson mit den Wildgänsen für einen Wettbewerb geschrieben, in dem eine für Kinder geeignete Beschreibung der Geographie Schwedens die Preisaufgabe war. Wollte man eine für Erwachsene geschriebene Geschichte Italiens der letzten 100 Jahre prämieren, dann müsste Francesca Melandri den Lorbeer davontragen!Die Zeit des Faschismus und die versuchte Eroberung Abessiniens (Äthiopiens) bis hin zum Schicksal moderner Flüchtlinge, die über Libyen endlich Italien erreichen und was sie dann in in Italien – besser: in Europa – erleben müssen, werden anschaulich und packend beschrieben.Verglichen mit diesem Caffè corretto (das ist ein Espresso mit Grappa) ist Elena Ferrantes "Neapolitanische Saga" – so gerne ich sie auch gelesen habe – nur ein Latte macchiato.Wer schließlich glaubt, das alles hätte mit Deutschland nichts zu tun, der sollte das "Dossier" der ZEIT vom 13. 9. 2018 mit dem Titel: "Seehofers 69" – über das Schicksal der 69 zu Seehofers Geburtstag abgeschobenen Afghanen lesen.

Eine etwas verworrene Familiengeschichte aus dem Italien zur Mussolinizeit. Es geht um eine Familie, die durch einen Asylanten verwirrt wird, der glaubhaft mit Ausweis beweist, dass er Nachkomme des Familienoberhauptes ist. Dieser, mittlerweile über 90 und dement, war während des Abessinienkrieges (1935-1936) dorthin versetzt und hat mit einer Abessinerin einen Sohn bekommen. Dieser bekam auch einen Sohn und er benannte ihn nach seinem eigenen Italienischen Vater. So kam es, dass dieser als Asylant nach Italien kam und sich auf die Suche nach seiner Verwandtschaft machte. Dieses Buch ist etwas schwierig zu lesen, da die Familienverhältnisse etwas verwirrend dargestellt werden und die Autorin auch erhebliche, zeitliche Sprünge macht. Die Geschichte des Abessinienkrieges und Mussolinis Traumvon einem Italienisch Ostafrika sind hervorragend recherchiert und die detaillierten Schilderungen der Kriegsgreue erschütternd.l

ein gutes Buch, das in anschaulicher Weise ein Stück Geschichte beleuchtet, das von einem europäisches Staat verbrochen wurde. Bestimmt hat jedes Land, das Kolonien hatte, solche fürchterlichen Flecken. Das Buch erzählt und lässt dem Leser soviel Platz, um sich eigene Gedanken zu machen.

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